Was sind meine persönlichen Learnings aus 2020?
Vielleicht…
Dass der Kampf gegen ein Virus kein Sprint ist - sondern ein Marathon. Wer am Anfang das Virus erfolgreich bekämpft hat, muss kontinuierlich dranbleiben, die nächste Welle kommt bestimmt.
Dass wir uns auf Zahlen verlassen müssen und exponentielle Entwicklung frühzeitig erkennen und auf sie reagieren müssen. Dies setzt voraus, das Zahlen zuverlässig digital erhoben werden und nicht nur an Wochentagen per Fax gesendet werden.
Dass es darauf ankommt, dass Notfallkonzepte nicht nur in den Schubladen liegen, sondern dass Vorkehrungen wie Masken auch wirklich vorhanden sein sollten. Zudem sollten wir nicht zu abhängig von der Medizin- und Medizintechnik-Produktion in anderen Ländern sein.
Dass es nicht eine, sondern ein ganzes Bündel an sinnvollen Maßnahmen gibt. Und dass für eine große Akzeptanz in der Bevölkerung eine faktenbasierte Entscheidung dringend sinnvoll erscheint.
Dass trotz der regionalen Unterschiede ein gemeinsames verantwortliches Verhalten aller Bundesländer Sinn macht. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die föderale Zuständigkeit in Zeiten einer Corona-Krise Sinn macht. Zumindest die Eckpunkte sollten basierend auf Fakten bundesweit definiert werden, damit ein gefährliches Kompetenz- und Regel-Wirrwarr minimiert wird. Eine koordinierte europäische Regelung wäre sinnvoll und wünschenswert.
Dass viele Menschen sich erst dann ansatzweise verantwortlich verhalten, wenn die drohende Gefahr so sichtbar und nah ist, dass sie längst die Oberhand gewonnen hat.
Dass die Lebenswirklichkeit der Menschen je nach persönlicher Situation sehr stark abweicht: Gestresst und überfordert oder vereinsamt? Finanziell am Abgrund oder unverändert stabil?
Die Fürsorgepflicht des Staates erweitert ihren Zuständigkeitsbereich. #leavenoonebehind: Um dieses Ziel durchzusetzen, braucht es den Beitrag aller Gesellschaftsbereiche. Die gesundheitlichen und sozialen Langzeitfolgen von Corona werden erst relativ spät sichtbar werden.
Dass Resilienz das Fundament ist, um auch in Krisenzeiten produktiv und mutig zu bleiben. Hilfreich ist es sich selbst mit Projekten motivieren sollte. Dinge, die man seit Jahren aufgeschoben hat: 2020 war die Zeit sie umzusetzen. Dass es darauf ankommt, trotz der Rückschläge das Positive zu sehen und dass wir als Menschen, als Demokraten, als Europäer zusammenhalten.
Dass Debatten schwieriger geworden sind,
da sich eine zunehmende Anzahl von Menschen von einer faktenbasierten Debatte entfernt hat. Dass sie in komplexen Zeiten stärker an das glauben, was ihnen Populisten und Demagogen als vermeintlich einfache Lösungen auftischen. Dass sie sich ihre eigene Realität aus Verschwörungstheorien zusammenrecherchieren und sich mit Gleichgesinnten in radikalisierenden Echokammern beschallen.
Dass eine echte inhaltliche Auseinandersetzung immer schwieriger wird:
Teilweise, weil Menschen gerade im digitalen Bereich immer weniger sensibel und menschlich miteinander umgehen. Teilweise, weil viele Menschen - so traurig das ist - offenbar die Wahrnehmung haben, sie könnten (wegen einer zunehmenden Political Correctness?) nicht mehr das sagen, was sie denken.
Dass Homeoffice funktioniert. Bisweilen scheint die Zusammenarbeit digital intensiver zu sein, als früher im Büro. Aber der Präsenzkontakt fehlt. An der Kaffeemaschine spontan über Herausforderungen sprechen, neue Kontakte kennenlernen - so etwas fehlt in Zeiten eines Lockdown sehr stark. Für die Post-Corona-Zeit wünsche ich mir einen sinnvollen und ausgewogenen Mix von Arbeit im Office- und Homeoffice.
Dass weniger Reisen die Umwelt entlastet und unseren Arbeitsalltag fokussierter macht. Der Lockdown hat mit seiner Entschleunigung die Proportionen zurechtgerückt. Ein Flug quer durch Deutschland für einen einstündigen Standardtermin macht keinen Sinn. Digitale Alternativen werden endlich Realität. Die Krisenbekämpfung sollte auf keinen Fall auf Kosten des Umweltschutzes gehen. Die immensen zugesagten Investitionen sollten jetzt konsequent für das Durchsetzen einer Green Economy in Deutschland und Europa verwendet werden.
Dass die Digitalisierung kommt - aber in Deutschland immer noch zu langsam. Am Anfang des Lockdowns gab es eine Hoffnung, dass endlich lange überfällige Entwicklungen befördert werden. Im privaten Sektor hat sich viel bewegt. Ein Blick in den öffentlichen Sektor macht sprachlos. Die digitalen Defizite in der öffentlichen Verwaltung, im Gerichtswesen oder unserem Bildungssystem sind immens. Und es zeigt sich: Es fehlt dabei inzwischen nicht mehr das Geld, das mittlerweile vom Bund zur Verfügung gestellt wird. Es ist die lahme und konservative Verwaltungsstruktur, kulturell verankerte Bedenkenträgerei und wenig ausgebildeter Innovationswille vieler Lehrer und des Bildungsbürgertums.
Dass Not - zumindest einige Menschen - erfinderisch macht, die Krise kreativ. Es gibt beeindruckende Beispiele wie beispielsweise der spontane digitale Hackathon #WirvsVirus mit über 28.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und über 1.500 Lösungen. Es wäre wünschenswert, dass Deutschland einige dieser guten Beispiele bewahrt, kulturelle Innovationshemmnisse wie Bürokratie und technisches Desinteresse abgebaut und die Innovations- und Digitalisierungsgeschwindigkeit endlich dauerhaft zunimmt.